Granat, Amethyst, Steinzeitwerkzeuge: Der Sammler und Chronist aus dem Zillertal

Interview von Stefan Weiß mit Walter Ungerank

Hineingezwängt: Walter Ungerank im Zemmgrund am Eingang zu einer 8 m tiefen Bergkristallkluft unterhalb des Schwarzensteins, Sommer 2010. Foto Archiv Walter Ungerank

Jung geblieben, vielfältig interessiert und extrem neugierig. Ruhig und bescheiden. Oft ein bisserl verschmitzt grinsend ... Walter Ungerank aus Aschau im Zillertal verfügt über eine mehr als fünfzigjährige Sammlererfahrung und er gilt als einer der besten Zillertal-Kenner – auf dem Gebiet der Mineralien ebenso wie als Chronist für Natur- und Bergbaugeschichte, oder als lokaler Experte für Steinzeitfunde. Er ist auch Hauptautor des extraLapis No.12 Zillertal von 1997. Walter Ungerank, Jahrgang 1948, arbeitete nach seiner Schulzeit ab 1964 bei der Tiroler Landesregierung als Vermessungstechniker. Nach seiner Heirat 1972 mit Regina Waldner zog er 1975 von Matrei am Brenner nach Aschau im Zillertal. 2009 ging er in Pension. Von 2002-2014 betreute er ehrenamtlich die Mineraliensammlung des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Über 23 Jahre war er Dorfchronist in Aschau und Schriftführer der Freiwilligen Feuerwehr. Die Lapis-Redaktion hat ihn besucht, und war von seiner gut präsentierten Sammlung begeistert – denn die enthält nicht nur tolle Zepter- und Fensteramethyste, schöne Granate oder enorme Eisenrosen, sondern auch einige echte Raritäten aus der steinzeitlichen Vergangenheit des Zillertals.  


Damit war die erste Frage klar: Walter, wann und wie bist Du eigentlich zum Mineraliensammeln gekommen?
Die erste „Expedition“ auf Bergkristalle ging im Jahr 1958 mit meinem Vater nach Navis, wo wir auch fündig wurden. Die erste selbstgefundene Bergkristallgruppe steht heute noch in meiner Sammlung. Seither führe ich ein „Mineralientagebuch“, wo sämtliche Touren und besondere Ereignisse zum Thema Mineralogie vermerkt werden.

Wenn ich mir einige Deiner Bilder aus der „Frühen Steinzeit“ anschaue, fällt mir eines auf, das Dich in kurzen Lederhosen vor einem Stollen zeigt. Warst Du beim Sammeln Autodidakt oder gab es Kollegen, die Dich besonders motiviert haben?
Da muss ich sofort an meinen Sammellehrmeister Franz Schmied denken, und unsere Fluoritsuche in Obernberg, im Jahr 1960. Mit Freude erinnere ich mich an diese zweite Stoansuachertour, da war ich 12 Jahre alt. Es war für meinen Bruder und mich eine große Ehre, mit dem Franz mitgehen zu dürfen. Zu unserer Ausrüstung gehörten unsere kurzen Lederhosen, die wir als Kinder den Sommer über trugen, sowie ein alter Juterucksack und einige Kerzen, die für die nötige Beleuchtung im Stollen sorgen sollten – Licht von einer Batterie wäre viel zu teuer gewesen! Ich war fasziniert von den vielen glitzernden Steinen und nahm mit, was der Rucksack fassen konnte. Die Folge war, dass ich auf dem Heimweg mehr taumelte als ging und beim Übersteigen eines Zaunes kräftige Hilfe nötig hatte. Meine nächsten Touren dorthin unternahm ich mit dem Fahrrad, einem alten Waffenrad meines Vaters ohne Gangschaltung. Schon bei geringen Steigungen musste ich absteigen und den Drahtesel schieben. Die Straßen in die hinteren Täler waren damals nur teilweise asphaltiert, so war schon die Anfahrt zu den Fundstellen ein Erlebnis. Damals gab es auch kaum Literatur zum Thema Mineralien. Mit großer Freude kaufte ich daher 1975 das Buch von Fruth „Mineralfundstellen Tirol, Salzburg, Südtirol“ und schon ab 1976 abonnierte ich Lapis.

Der Streifzug durch Deine Diasammlung beweist: Du warst nicht nur im Zillertal zugange, sondern scheinst Dich für Mineralien aus der ganzen Welt zu interessieren. Hier gibt´s etwa ein schönes Stilleben – ein pechschwarzer Ungerank mit VW-Käfer auf Elba …
Ja, das war fein, im Pyritabbau Rio Marina! Da seh´ ich unter´m Hämatitstaub wie ein Kohlekumpel aus! Damals gab es kein Sammelverbot und man konnte bis auf rund 10 m an die Fundstelle heranfahren. Abgewaschen hat man sich im Schwefelsee. Bei der Hinfahrt gab´s eine Panne, die Lichtmaschine musste ausgetauscht werden. Und auch die Benzinleitung war öfters verstopft. Damals konnte man noch vieles selbst reparieren. Geschlafen wurde in einem einfachen Zelt, bei dem der Reißverschluss nicht mehr zuging. Früher hab´ ich tatsächlich noch Mineralien aus der ganzen Welt gesammelt, doch 1996 begann ich damit, meine Sammlung komplett umzustellen. Ich verkaufte sämtliche Raritäten aus dem Ausland, um mit dem Erlös Zillertaler Klassiker und historische Mineralstufen von diversen Fundstellen erwerben zu können.
In meine Schauvitrinen dürfen seitdem nur noch Mineralien aus dem Zillertal – darunter auch ein verkieseltes Stück Holz aus dem Zillergrund – es ist 42.000 Jahre alt!

Auf dem Bild hier, in dem uralten Stollen, schaust Du in Deiner weißen Montur wie ein „Tatortspezialist“ aus ...
Wohl, wohl! Aber da bin ich nicht weitergekommen. Zu diesem Stollen im Gerlostal hab´ ich nirgends einen Literaturhinweis gefunden. Stollen und Steine haben auf mich schon immer eine besondere Anziehungskraft ausgeübt, und die hat sich von Jahr zu Jahr gesteigert. Früher waren es nur die äußeren Eindrücke von Untertage, die mich faszinierten, später interessierte mich auch die Bergbaugeschichte. Es brauchte unzählige Begehungen im Gelände und intensive Nachforschung in diversen Archiven, doch bis heute konnte ich über 100 Stellen und Stollen im Zillertal dokumentieren, wo Bergbau betrieben wurde.

Das Mineral Granat hat wohl fast jeder Mineralienfreund in seiner Sammlung – auch mich begeistern seine intensiven Farben und symmetrischen Formen. Und Du giltst als mit Abstand bester Kenner der Granatfundstellen und der Granatgewinnung im Zillertal. Wie kamst Du an dieses Thema?
Granat interessierte mich immer schon, doch anfangs kannte ich nur wenige Fundorte, speziell im Zillertal. Ganz dem Granat gewidmet war das Märzheft 1977 von Lapis, und hier faszinierte mich der von Heinz Meixner verfasste Artikel: „Auf der Gamsjagd entdeckt“. Der enthielt, kompakt und auf engstem Raum, eine Vielfalt interessanter Informationen über die Granate Österreichs. Nun war ich „angefüttert“: Im Tiroler Landesarchiv, im Tiroler Landesmuseum, im Salzburger Landesarchiv und auch direkt über die „Granatsucherfamilie“ Kreidl forschte ich weiter. Denn der Ur-Urgroßvater meiner Frau Regina war Josef Hofer (1802-1872), der den Granatbergbau in Radenthein begann und Schürfrechte in Südtirol und im Zillertal besaß. 124 alte Originalbriefe kamen ans Licht, die neue Erkenntnisse brachten, und noch viele andere Schriftstücke warten weiterhin auf die Transskription. 1997 organisierte ich die Ausstellung „250 Jahre Zillertaler Granat“ und konnte mit großer Freude an der Entstehung des extraLapis „Zillertal“ mitwirken; dazu besuchten mich damals mehrmals auch Max Glas und Christian Weise, die beiden „Väter“ des extraLapis. 1999 und 2002 konnte ich mit meinem Sammlerkollegen Friedrich Kröll alte Granatarbeiterwerkzeuge und Kristallstufen aus der Wand am Rossrücken bergen. 2016 wurden sie vom Bundesdenkmalamt als Kulturgüter unter Schutz gestellt.Mittlerweile kenne ich im Zillertal über 30 Granatfundstellen, von denen die meisten schon im extraLapis No. 12 erwähnt wurden. Bei Vorträgen und Gesprächen über alte Granatbergbaue staunen die Leute oft darüber, dass Zillertaler Granate sogar im Schwarzwald und in Böhmen geschliffen wurden!

Das ist ja eine tolle Pfeilspitze aus Bergkristall ! Wie bist Du denn dazu gekommen?
Schon vor Jahrzehnten interessierte mich bei diversen Reisen nach Marokko, Ostafrika, Elba, Tunesien, Türkei, Syrien, Israel, Portugal und Griechenland speziell die Verbindung von Mineralien, Kultur und Archäologie. Das hat mir auch einen ganz besonderen „Blick“ für die Steinzeit und ihre Werkzeuge vermittelt. So gelang es, gemeinsam mit den Mineralienkollegen Siegfried und Patrik Pataky eine riesige alte Bergkristallkluft im Bereich des Olperer als Steinzeitwerkstätte zu erkennen. Damit wurde die Urgeschichte des Zillertales um eine wichtige Facette reicher. Viele Mineralien und historische Objekte aus meiner Sammlung wurden bereits bei diversen Ausstellungen in Österreich und Deutschland präsentiert. Exponate gelangten in die Sammlungen des NHM Wien, der Bergakademie Freiberg, des Naturmuseums Südtirol, des Tiroler Landesmuseums, der Universität Innsbruck und der Naturhistorischen Sammlung St. Peter in Salzburg. Es ist mir sehr wichtig, dass ich zu vielen Museen und zur Uni Innsbruck beste Kontakte pflegen kann und auch noch weitere gemeinsame Forschungen am Programm stehen. Einige interessante Entdeckungen wurden in diversen Fach- und Lokalzeitschriften veröffentlicht, darunter auch in Lapis.

Welche Sammelgebiete interessieren Dich außerdem?
Walter zeigt auf eine Disthen-Stufe von 1881 aus der Hübler-Sammlung, etikettiert als „Cyanit, Schlegeisenthal“:
Historische Mineralstufen vom Zillertal mit alten Etiketten faszinieren mich – dazu erstelle ich Biographien von Mineraliensammlern mit Zillertal-Bezug. Beinahe keiner von ihnen ist mehr am Leben, hinterließ aber als Mineralienliebhaber Spuren auf dem Gebiet der Naturwissenschaften. Daher erfasse ich auch alte Sammlungen, was immer wieder „Expeditionen“ auf staubige Dachböden und in dunkle Keller mit sich bringt. Viel gesehen und gelernt habe ich in Museen wie dem NHM Wien, in Berlin, Zürich, Athen, Damaskus oder Palmyra.

Du bist ganz offensichtlich schon lange ein begeisterter Fotograf. Wie behältst Du da den Überblick über Dein Archiv?
1991 wurde viel geredet, was ein Computer alles kann. Im Dorf hatten nur zwei Personen einen „Personal Computer“. 1992 investierte ich 24.600,- österreichische Schilling – das entspricht einer heutigen Kaufkraft von satten 4.500 Euro! – für einen gebrauchten PC und begann, mineralogische Daten und Texte dort zu speichern. An eine Korrespondenz per e-Mail war damals noch nicht zu denken. Damit war ich sicher einer der ersten Mineraliensammler, der Bildverwaltung, Sammlung und Berichte immer über den PC führte. Das war sehr effektiv und hat mir eine Menge Zeit gespart! Bis 2004 habe ich mit einer Spiegelreflexkamera fotografiert und 10.000 Dias digital verwaltet; seit 2005 benutze ich eine hochwertige Digitalkamera und dabei sind rund 70.000 Fotos entstanden. Auch heute noch nehme ich die Kamera auf fast alle Mineralientouren mit. Es ist mir ein Anliegen, Fundstellen, die Landschaft mit ihren Bergen und den Gletscherstand zu dokumentieren. So habe ich auch genügend Bildmaterial für meine Vorträge zur Verfügung. Dazu kommen Hunderte Aufnahmen vom „alten“ Zillertal, einschließlich einer Ansichtskartensammlung mit dem Hauptthema Berge – Hütten – Gletscher.

Was sagt eigentlich Deine Frau Regina zu Deinem Hobby – immerhin sammelst Du schon über ein halbes Jahrhundert …
4.500 Sammlungsstücke von 211 verschiedenen Zillertaler Mineralarten hinterlassen schon ihre Spuren – allein in der Hauptsammlung stehen 1.000 Stufen! Regina unterstützt mein Hobby und hat mich schon des öfteren auf Fundstellentouren begleitet.

Was war oder ist Dein wichtigstes Projekt?
Im Mai 2001 konnte ich das „Kristalleum Zillertal“ im Freizeitpark Aufenfeld in Aschau eröffnen. Am 20. Juli 2008 wurde es durch einen Brand in einem Nebengebäude zerstört. Die ausgestellten Mineralien wurden dank des gezielten und schonenden Einsatzes der Feuerwehr aber kaum in Mitleidenschaft gezogen. Das Ziel für die Zukunft wäre eine würdige Dauerausstellung im Europahaus Mayrhofen, die den Zillertaler Kristallen gerecht würde. Verhandlungen darüber sind im Gange.

Ende nächsten Jahres wirst Du 70 – hast Du schon mal daran gedacht, mit dem Sammeln aufzuhören?
Walter grinst und die Antwort kommt postwendend:
Sicher nicht! Die Ötztaler haben ihren Ötzi abgeben müssen und deshalb bin ich hier im Zillertal weiter auf der Suche – nach der Zilli ... aber im Ernst: Ich glaube, dass wir Mineraliensucher immer wieder wichtige Erkenntnisse für Naturwissenschaftler und Archäologen liefern können.


aus Lapis 10/2017

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