Haarförmiges Eis als Mineral – nicht ohne Pilze!
2-3 cm lange Haareis-Locken auf morschen Buchenästen: Solches Eis entsteht nur an rindenfreien Stellen – unverzweigt und parallel gewachsen, mit scheitelähnlicher Trennung. Der links davorliegende, vollständig mit Rinde bedeckte Ast ist dagegen ganz frei von Haareis. Auf den umgebenden Buchenblättern ist weder Reif noch Raureif erkennbar. Foto: Pietro Fontana
Haareis ist eine selten beobachtete
Ausbildungsform von Eis (vgl. Lapis
12/2006, S. 8). Dies liegt an den zahlreichen
Entstehungsbedingungen, die
gleichzeitig erfüllt werden müssen. Es
bildet sich an windstillen, schneefreien
Wintertagen bei Temperaturen knapp
unterhalb von 0°C auf ungefrorenen,
morschen und feuchten, rindenfreien
Stellen von Buchen- oder Eichenholz
als haar- oder watteartige Eisbildungen
(Wagner et al. 2009). Die „Haare“
sind hauchdünn (~0,02 mm), doch die
Haarlänge kann bis zu 20 cm erreichen
(Preuss et al. 2015). Die Haareiskristalle
wachsen nicht aus der Feuchtigkeit
der Luft, wie die nadelförmigen,
dendritisch verzweigten Strukturen
von Raureif. Haareis wächst vielmehr
aus dem Porenwasser von Laubholz an
der Basis der einzelnen Haare. Das
sichtbare Eisvolumen ist rund 9 %
größer als das dazu benötigte Wasservolumen.
Damit Haareis nicht sofort
sublimiert, ist eine hohe Luftfeuchtigkeit
notwendig.
Die Haareisbildung wird schon seit
langem untersucht. So fand bereits
Wegener (1918), dass Haareiskristalle
auf morschem Holz wachsen und das
Wasser durch Vermittlung eines Pilzes
zum Austritt gebracht wird. Untersuchungen
von Wagner & Mätzler
(2009) bestätigten diese Hypothese.
Sie führten die Wirkung der winteraktiven
Pilze auf einen Abbau von
Stärke zurück. Dabei entsteht Wasser
und Kohlendioxid. Der entstehende
Gasdruck von Kohlendioxid presst
das Wasser aus den Holzporen, wo es
an der Holzoberfläche sofort gefriert.
Neue Untersuchungen von Preuss
et al. (2015) identifizierten auf allen
Holzproben mit Haareiskristallen den
winteraktiven Pilz Exidiopsis effusa.
Sie fanden, dass der Stärkeabbau aber
zu schwach ist, um einen genügenden
Auspressdruck zu produzieren. Für
die Haareisbildung an der Holzoberfläche
ist vielmehr die Eis-Segregation
verantwortlich, die beim Wachsen der
Eiskristalle das Wasser aus den Poren
saugt. Die Segregation beruht auf
unterschiedlichen Kräften an Grenzflächen
zwischen Holz, Luft, Eis und
Wasser (Mätzler 2020, pers. Mitt.).
Doch alle neueren Untersuchungen
zeigten, dass ohne Pilze kein Haareis
entsteht! Was haben die Pilze nun
für eine Rolle? Nach den neuesten
Erkenntnissen formen sie Eis zu Eishaaren.
Weiter produzieren sie einen
Rekristallisations-Hemmer, der die Stabilität
des Haareises erhöht (Preuss et
al. 2015). Weitere Forschungen hierzu
laufen noch.
Das hier gezeigte Haareis-Foto entstand
Anfang Januar 2020 in einem
Buchen/Tannen-Mischwald am Jura-
Südfuß nördlich von Solothurn. Im
Gegensatz zu den in der Literatur
beschriebenen, bis 20 cm langen Eishaaren
betrug die Haareislänge jedoch
nur 2-4 cm. Dabei war auch eine
reproduzierbare Haareisbildung zu
beobachten. Ein Wetterwechsel brachte
~5 mm Regen und ein kurzzeitiges
Ansteigen der Lufttemperatur auf
maximal 4°C. Dadurch verschwanden
alle Prachtsstrukturen vollständig.
Das erneute Absinken der Temperatur
auf den Gefrierpunkt führte auf
allen bisher beobachteten Fundstellen
zur erneuten Haareisbildung. In einer
einzigen Nacht wuchsen 2-4 cm lange
Eishaare.
Pietro Fontana
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