Eigenfund: Mondsteine und ein „blättriger“ Bergkristall aus dem Val Bedretto, Tessin

von Rudolf König

Einen besonders schönen Mondstein-Schiller zeigt dieser angelöste, 3 cm große Adular. Foto: Rudi König

Ende September 2018. Wunderschönes Bergwetter ist im Tessin angesagt. So fahre ich Freitagnachmittag nach Airo-lo, wo mein Schweizer Kollege Jost Herger gegen Abend schon auf mich wartet. Er hat riesengroßen Hunger, denn er war schon ein paar Tage im Maderanertal unterwegs, um Kristalle zu suchen. Seinen Erfolg konnte man allerdings eher als „mäßig“ bezeichnen. Ich habe einen großen Wagenheber besorgt, damit kann man bis zu 20 Tonnen schwere Steinbrocken bewegen. Jost ist nun überzeugt: Mit diesem Teil als „Presse“ können wir einen großen Stein, der über einem vielversprechenden Quarzband liegt, wegdrücken. Nach einem guten Spaghetti-Abendessen mit einer Flasche Tessiner Merlot, gehen wir – für Jost viel zu früh – ins Bett. Wir haben ja morgen viel vor, denn wir müssen die schwere „Steinpresse“ an unsere Fundstelle auf der Westflanke des Madone im Val Cristallina hochschleppen.
Am Samstagmorgen nach dem Frühstück geht es, vorbei an der Alp, zügig hinauf Richtung Madone zu unserer „Baustelle“. Der Merlot hängt noch ein wenig in unseren Köpfen herum, aber bei dem schönen Wetter und mit dem tollen Werkzeug im Rucksack erreichen wir unsere Fundstelle am Steilhang nach gut zwei Stunden. Schon seit 15 Jahren bauen wir hier eine interessante Zone im Bündnerschiefer ab. Dabei kommen immer wieder verstürzte Klüfte zutage, mit Bergkristallspitzen bis 20 cm Länge. Vergesellschaftet sind blättriger gelblicher Muskovit, orangefarbene Sagenit-Rutile bis 5 cm Größe und schöne Pyrite bis 3 cm Kantenlänge.
Nach einem stärkenden Neunuhr-Frühstück – dem „Znüni“ – wollen wir dem schweren Stein zu Leibe rücken. Aber halt: Schon sehe ich ein paar Quarzscherben im Schutt liegen, die hat sicher der letzte Regen herausgeschwemmt. Also ziehe ich den Kratzer aus dem Rucksack – und bald halte ich ein paar Kristalle im Tessiner Habitus, Adulare und ein wenig Pyrit in meinen Händen. Leider scheinen die meisten Kristalle nur „Scherben“ aus einer kleinen Lehmtasche zu sein, fest eingepackt in braunem Limonit. Ich lege erst einmal alles beiseite, wir wollen ja den großen Stein hinunterbefördern, weil wir vermuten, dass die „gute“ Kluft darunter liegen muß. Doch so sehr wir uns auch bemühen und die Presse einsetzen, wir können das Riesenteil nur rund zwei Meter weit in Richtung Abgrund bewegen. Den ganzen Tag schuften wir weiter, einziger Erfolg bleiben diese schmutzigen Limonitklumpen! Am Abend habe ich dann doch einige Stücke davon eingepackt ...
Ein wenig enttäuscht und mit Rückenschmerzen sind wir ins Tal abgestiegen. Der Durst war riesengroß nach dieser Schufterei. Nach einem Grappa und einem Bierchen „bei Zuriga“ in einer Bar in Airolo kehrten unsere Lebensgeister zurück. Wir haben dann noch Gibi Leonardi und Carlo Peterposten dort getroffen, die hatten auch Durst. Nach einer lustigen Plauderei mit diesen Profis ging ein ebenso anstrengendes wie tolles Strahlerwochenende im Tessin zu Ende.
Erst zu Hause in Vorarlberg, nach dem Reinigen der Limonitklumpen, war ich echt überrascht, was für interessante Stücke zum Vorschein kamen: Bizarr zerfressene Adulare mit schönem Mondstein-Schiller und ein flacher blattförmiger, im Querschnitt federartig geschwungener Bergkristall-Splitter – das auf der Unterseite perfekt rekristallisierte Teilstück einer parallel gestaffelten Bergkristallgruppe. Es wurde wohl im Spätstadium des Kristallwachstums abgeschert, als tektonische Kräfte die Kluft im Bündnerschiefer zerdrückten. Die schillernden Adulare und die 13 cm hohe „Fieder“ stehen nun alle in meiner Sammlung. Fazit: Wir haben noch viel zu tun an unserer Baustelle, sind aber fast sicher, dass es dort noch einige Überraschungen geben wird

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